Der deutsche Wald - fünf nach zwölf?

Teil 1: Bedrohter Lebensraum Wald

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In der 2-teiligen Reihe „Wald“ erfährst du mehr über das Ökosystem Wald und wie es um den deutschen Wald steht. Der 2. Teil erscheint nächste Woche und beleuchtet, was getan wird und was getan werden sollte, um den Lebensraum Wald zu schützen und zu erhalten.

Ökologinnen und Ökologen warnen, in 100 Jahren könnten wir die Hälfte unserer Waldflächen in Deutschland verlieren. Wie kann das sein?

Bei der Suche nach Lösungen, die Erderwärmung zu begrenzen, wird ein bestimmtes Ökosystem in der öffentlichen Debatte vernachlässigt: Der deutsche Wald. Berichte über die Abholzung des Regenwalds in Brasilien oder der Teakholz-Raubbau in Myanmar sind bei uns in den Medien präsent. Aber wie steht es um den deutschen Wald? Vereinzelnd tauchen Berichte von Problemen mit Borkenkäferbefall und Trockenheit bei Fichten- und Kieferwäldern auf. Aber gerade bei dem Ökosystem deutscher Wald, stehen wir an einem Wendepunt.

Zwei Lager stehen sich dabei gegenüber. Auf der einen Seite steht die Forstwirtschaft und mit ihr die privaten Waldbesitzer, die die wirtschaftliche Nutzung des Waldes im Fokus hat und mit dem Eingreifen, dem „Managen der Natur“ die Probleme lösen möchte. Sie versucht die ehemals reinen Monokulturen mit wärmeresistenten Bäumen zu klimastabilen Mischwäldern umzubauen, teils mit Hilfe von Subventionen durch den Staat, der für die aufwändige Aufforstung die Mittel bereitstellt.

Auf der anderen Seite stehen die Ökologinnen und Ökologen, die vor verheerenden Situationen warnen, wenn wir so weitermachen wie bisher. Sie propagieren den Wald weitestgehend sich selbst zu überlassen. Ihrer Meinung nach ist die Natur an sich ein so komplexes und intelligentes Ökosystem, dass, Millionen von Jahren bewährt, eigenständig in der Lage ist, die besten Antworten auf die bestehenden und kommenden Herausforderungen zu geben.

 

 

Der Wald


Wir neigen dazu, den Wald zu romantisieren. Instinktiv fühlen wir uns im Wald wohl, werden ruhiger, gelassener und genießen die Natur. Der Wald diente uns Menschen schon immer auch als Erholungsgebiet. Das wir uns im Wald so wohl fühlen, liegt auch an den Phytonzyden. Bäume kommunizieren über Duftstoffe, den Phytonzyden, die sie je nach Anlass aussenden, um sich zum Beispiel gegenseitig vor Schädlingen wie dem Borkenkäfer zu warnen oder um bestimmte Tiere anzulocken, die dann die ungewünschten Schädlinge am Baum bekämpfen. Wir atmen beim Waldspaziergang also im Übertragenen Sinne die „Konversation der Bäume“ ein. Japanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben in einer Studie mit mehreren hundert Probanden und Probandinnen herausgefunden, dass Waldspaziergänge unseren Blutdruck und unsere Herzfrequenz absenken. Auch gehen die Forscherinnen und Forscher davon aus, dass die sogenannten Phytonzyden dabei eine wichtige Rolle spielen.

Wald ist für uns also etwas Entspannendes, etwas Natürliches, etwas Selbstverständliches, etwas immer Dagewesenes. Darüber hinaus ist das Holz aus dem Wald natürlich auch ein toller Rohstoff. Wir benötigen Holz für die Erzeugung von Papier, um Möbel herzustellen, um Treppen, Dachstühle oder Boote zu bauen und nicht zu vergessen, zum Heizen. Aber kann unsere Wald diese vielen Bedürfnisse auch in Zukunft noch decken?

 

 

Was ist eigentlich Wald? Eine Definition:


Im Bundeswaldgesetz steht unter §2: „(1) Wald im Sinne dieses Gesetzes ist jede mit Forstpflanzen bestockte Grundfläche. Als Wald gelten auch kahlgeschlagene oder verdichtete Grundflächen, Waldwege, Waldeinteilungs- und Sicherungsstreifen, Waldblößen und Lichtungen, Waldwiesen, Wildäsungsplätze, Holzlagerplätze sowie weitere mit dem Wald verbundene und ihm dienende Flächen. …“
Quelle: Gesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft (Bundeswaldgesetz)

Das ist insofern interessant, als dass bei amtlichen Bekanntmachungen zum Zustand und zur Größe unserer Waldflächen immer berücksichtigt werden muss, dass auch die vielen kahlgeschlagene Flächen als Wald ausgewiesen werden. Somit kann sich ein trügerisches Bild ergeben.

 

 

Wem gehört der deutsche Wald?


Es gibt im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in Deutschland noch „relativ“ viele Waldflächen. Knapp ein Drittel der Grundfläche der Bundesrepublik ist mit Wald bedeckt. Zu den häufigsten Baumarten zählen Fichten, Kiefern, Eichen und Buchen. Allerdings bestehen rund 50% Prozent der deutschen Waldgebiete aus Nadelbäumen, die größtenteils in plantagenähnlichen Monokulturen angelegt sind. Gerade diese Flächen sind aktuell enorm durch die anhaltende Trockenheit und Borkenkäferbefall in Bedrängnis geraten. Gelingt es uns nicht diese Endwicklung zu stoppen, könnten wir in den nächsten Jahrzehnen die Hälfte unserer Waldbestände verlieren. Wobei  zu überlegen ist, ob wir bei plantagenartigen Monokulturen überhaupt von Wäldern sprechen können. Monokulturen sind in geraden Reihen gepflanzte Bäume. Es liegt kein Totholz auf diesen Flächen. Durch Fehlen von Biomasse auf dem Waldboden und der immer gleichen Nutzung, nimmt die Bodenqualität ab. Es entwickeln sich keine Pilzkulturen und viele Kleinstlebewesen, die sonst in einem Wald vorkommenden, sind nicht vorhanden. Der Wald ist hingegen ein komplexes Ökosystem, indem viele Mechanismen ineinandergreifen und dafür sorgen, dass sich die Bodenqualität stets erneuert, sodass der Wald sich aus eigener Kraft regenerieren kann.

Fast die Hälfte der Waldflächen in Deutschland befinden sich in Privatbesitz. Diese 48% der landesweiten Forstflächen gehören ca. 2 Millionen Menschen, die sich im Durchschnitt um ein ca. 2,7 Hektar großes Waldgebiet kümmern. Die restliche 52% gehören dem Bund, den Ländern und den Gemeinden.

Ein wichtiger Aspekt bei unseren Waldflächen in Deutschland ist das freie Betretungsrecht. Ob Privatwald, Gemeinde- oder Staatswald, der Wald muss zu jeder Zeit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. (Quelle: Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände - AGDW, 2021)

 

 

Gibt es in Deutschland noch Urwälder?


Einen Urwald gibt es in Deutschland nur noch vereinzelnt. Etwa 1 % Prozent der Waldgebiete in Deutschland zählt man zu den nicht durch den Menschen manipulierten Waldflächen, allerdings weisen 36% eine naturnahe Zusammensetzung der Baumarten auf. (Quelle: National Geographic)

In früheren Zeiten war die Buche die dominante Baumart in Deutschland. Buchenurwälder haben einmal 70% der Fläche Deutschlands bedeckt. Durch ihre hohe Anpassungsfähigkeit konnte sie sich innerhalb weniger Jahrtausende nach der letzten Eiszeit gegen andere Baumarten durchsetzen und wurde so zur dominierenden Baumart in Mitteleuropa und so auch in Deutschland. Heute steht die Rotbuche in der Liste der häufigsten Baumarten in Deutschland auf Platz drei mit 16% hinter den Nadelhölzern Fichte mit 25% und Kiefer mit 23%. (Quelle: Nabu, 2021)

 

Das Zusammenleben der Bäume

 

Bäume sind laut dem Förster und Autor Peter Wohlleben (Buch: Das geheime Leben der Bäume) soziale Wesen. Sie kommunizieren miteinander und helfen sich gegenseitig in schwierigen Zeiten. Er wirbt für ein besseres Verständnis für das Ökosystem Wald. Auch Wissenschaftler, wie der italienische Pflanzenneurologe Stefano Mancuso von der Universität Florenz sprechen von der „Intelligenz der Pflanzen“.

Wenn Bäume von Schädlingen wie z. B. dem Borkenkäfer befallen werden, warnen sie sich gegenseitig, indem sie bestimmte Duftstoffe aussenden um andere Bäume vor der Gefahr zu warnen. Darüber hinaus stimmen sich einige Baumarten ab, in welchem Jahr sie blühen, um durch unregelmäßige Zyklen ihre Samen vor übermäßigen Wildfraß zu beschützen. Wenn Wildschweine und Rehe sich nicht auf regelmäßige Blütenzeiten der Bäume und das damit verbundene Nahrungsangebot einrichten können, bleibt eine Vergrößerung der Population aus und es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass viele der ausgetragenen Samen keimen können.

Bäume sehen sich als Gemeinschaft in ihrem Ökosystem und handeln danach. Ein einzelner Baum kann wenig ausrichten. Aber die Gemeinschaft eines Ökosystems, zu der auch Pilze und Bakterien gehören, können sich gegenseitig helfen, Stürme, Dürren und Schädlingsbefall zu überstehen. In einem intakten Wald werden Jungbäume durch ältere Bäume über Wurzeln und Pilze mit Zuckerlösungen versorgt. Durch die dichten Kronen der älteren Bäume ist es für die jungen Bäume schwierig, Aufgrund des am Waldboden herrschenden Lichtmangels, Photosynthese zu betreiben. So wachsen die Jungbäume in Obhut älterer Bäume zwar langsamer heran, werden dadurch aber widerstandsfähiger und bilden die Basis für ein hohes Lebensalter.

 

Wie ist es um unseren Wald bestellt?

 

Deutschland ist eines der waldreichsten Länder Mitteleuropas aber die Hälfte seiner Waldflächen bestehen aus Fichten und Kiefernplantagen. Durch ihr schnelles Wachstum waren diese Baumarten prädestiniert für die Forstwirtschaft und wurden überall in Deutschland angepflanzt. Diese vom Menschen angepflanzten Monokulturen hatten es in unseren Breiten schon immer schwer zu bestehen, da sie eigentlich ein kühleres und feuchteres Klima weiter nördlich bevorzugen. Durch die Auswirkungen des Klimawandels verschärfte sich die Situation dieser Bäume derartig, dass durch Austrocknung und Schädlingsbefall riesige Waldflächen unbrauchbar geworden sind. Der überwiegende Teil der Nadelbaumplantagen befindet sich in Privatbesitz, und so wurden die Bäume so schnell wie möglich geerntet, um wenigstens noch einen Restgewinn zu erzielen. Durch diesen Kahlschlag entstanden große, steppenähnliche Flächen. Auf diesen abgeräumten Holzfeldern befindet sich nach kurzer Zeit auch im Waldboden keine Artenvielfalt mehr.

Durch den Einsatz von schweren Fahrzeugen wie einem Holzvollernter oder Harvester wird der Waldboden bis in eine Tiefe von zwei Metern unter den Fahrspuren verdichtet. Dieser, vormals sehr lockere und hoch wasserspeichernde und mit unzähligen Kleinstlebewesen angereicherte Waldboden, ist dann für ca. zehn Jahre nicht mehr in der Lage sich zu generieren. Auf dem in diesem Beitrag weiter unten verlinktem Webinar „Der Wald erwacht“, zeigt Pierre Ibisch, Biologe und Professor für „Nature Conservation“, Bildmaterial mit den Fahrspuren eines abgeräumten Holzfeldes. Nur ein Bruchteil der ursprünglichen Waldfläche ist noch für eine Aufforstung nutzbar.

 

Der Wald erwacht!

Ein Webinar zum Tag des Waldes 2023 mit Jutta Pulus (Abgeordnete des Europaparlaments ), Peter Wohlleben (Förster und Autor), Pierre Ibisch (Biologe und Professor für „Nature Conservation)

 

 

Die Vernichtung der Artenvielfalt im und auf dem Waldboden sowie eine dadurch resultierende extrem schwere Aufforstung sind aber nicht die einzigen negativen Entwicklungen bei abgeräumten Holzfeldern. Ein weiterer, oft nicht bedachter Aspekt, sind die enormen Kohlenstoffverluste. Diese entstehen nicht nur durch den Abtransport und die Verwertung der Bäume, was an sich schon schlimm genug wäre, denn das Holz landet meistens in kurzlebigen Produkten wie z. B. Papier oder Brennholz. Der Anteil langlebiger Holzproduckte mit Lebenszyklen von mehr als zehn Jahren beträgt nur etwa 15 Prozent der Holzproduktion. Die nach der Holzentnahme durch Sonneneinstrahlung aufgeheizten Böden verlieren bei der Umsetzung von Humus durch Pilz- und Bakterienaktivitäten noch einmal Kohlenstoff in einer großen Menge. Wissenschaftler gehen von 50.000 Tonnen CO2 pro Quadratkilometer aus. Somit werden abgeräumte Holzfelder zu CO2-Quellen.

Trotz der vielen negativen Erfahrungen mit Nadelholzplantagen startet die Forstwirtschaft die Aufforstung erneut mit nichtheimischen Baumarten wie z. B. der Douglasie, um wieder gewinnbringende Baumplantagen zu generieren. Die Frage dabei ist nur, haben wir für diese Art von Experimenten noch die Zeit? Die Aufforstung wird durch den Kahlschlag der Flächen ohnehin extrem schwierig. Es fehlt das schatten- und feuchtigkeitsspendende Totholz auf diesen Flächen. Ohne diese Biomasse heizen sich diese Flächen enorm auf, sodass die neuen Keimlinge es sehr schwer haben. Darüber hinaus breitet sich im Gegensatz zu dunklen Waldgebieten auf komplett abgeräumten Flächen schnell die Vegetation aus, was wiederum Rehe und Hirsche anzieht, die durch Verbiss die Sämlinge schädigen. Ökologen und Ökologinnen sind der Ansicht, dass wir durch die Sichtweise der Forstwirtschaft Gefahr laufen, in den nächsten Jahrzehnen die Hälfte unseres Baumbestandes in Deutschland zu verlieren.

Die übrigen Waldflächen in Deutschland bestehen aus Misch- und Buchenwäldern. Auch sie leiden enorm unter der Trockenheit, haben aber durch das Zusammenspiel eines intakten Ökosystems, begünstigt durch die verbliebene Biomasse im Wald, viel bessere Chancen, sich an die neuen Bedingungen anzupassen. Seit ungefähr 300 Jahren managt der Mensch den Wald, weitestgehend mit Nadelholz Monokulturen. Aber seit etwa 300 Millionen Jahren hat die Natur das selbst geregelt, und das nicht ohne Erfolg!

Im 2. Teil dieser Wald-Reihe erfährst du, wie wir in Zukunft mit unseren Wäldern umgehen sollten, damit dieses wichtige Ökosystem bestehen bleibt.

 

 

Filmtipp

„Das geheime Leben der Bäume“, ein Dokumentarfilm von Jörg Adolph und Jan Haft, Deutschland 2020

Der Film gibt einen beeindruckenden Einblick in das Ökosystem Wald.

 


 

 

Quellen:

 


 

Bildnachweise:

Abgestorbene Bäume im Wald: Bild von Sadie auf Pixabay

Fichtenwald: Bild von Hans auf Pixabay

Wanderweg im Wald: Bild von Michael Strobel auf Pixabay

Abgestorbene Tannen vor bewölktem Hintergrund: Bild von Hans auf Pixabay

 

Ein Beitrag von Sven aus der JIZ-Redaktion

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